Zur Verlagsgeschichte
Das ist die absolute Kurzfassung einer geschichtsträchtigen Verlagsentwicklung, deren eigentliche Anfänge sogar noch weiter zurückreichen; genau besehen bis ins Jahr 1843. Anno dazumal hatte ein gewisser A. Heinrich, seines Zeichens Souffleur am Königlichen Schauspielhaus zu Berlin, eine Theateragentur gegründet. Zu dieser Zeit stand noch kein geordnetes Verlagswesen hinter den "dramatischen Autoren", wie sie sich damals nannten; mehr oder weniger wurden die Stücke über private "Agenten" an die Theater vermittelt. Heinrichs Agentur gedieh, nach seinem Tode wurde sie von seinem langjährigen Mitarbeiter und Kollegen A. Entsch übernommen, dem es gelang, das zunächst noch zarte Pflänzchen zum Erblühen zu bringen. Einundzwanzig Jahre stand A. Entsch seinem Unternehmen vor; als er 1882 starb, war es an seinem Sohn Theodor, dieses Erbe nicht nur zu verwalten, sondern weiter auszubauen. Sein Wirken, über ein Vierteljahrhundert hinaus, prägte die Bedeutung dieser Firma. Private Umstände waren es, die 1908 zur Übernahme des Verlages A. Entsch durch den Theaterverlag Eduard Bloch führten. Womit wir beim Gründungsjahr der VVB angelangt wären ...
Um diesen zeitlichen Abstand zu verdeutlichen: 1908 konnten sich die amerikanischen Brüder Wright mit ihrem Motoraeroplan immerhin schon volle zwei Stunden in der Luft halten; der "Zupfgeigenhansl" des Hans Breuer wurde erstmals aufgelegt, und in New York startete am 12. Februar das erste Autorennen "Rund um die Erde", das vom amerikanischen Team gewonnen wurde, welches am 30. Juli 1908 in Paris eintraf ...
Am 16. Juni dieses Jahres 1908 wurde in Berlin der Verband Deutscher Bühnenschriftsteller in das Genossenschaftsregister des Königlichen Amtsgerichts Berlin-Mitte eingetragen. Mit zu den selbstauferlegten Programmpunkten dieses Verbandes gehörte die Gündung einer eigenen "Vertriebsstelle" in der Rechtsform einer G.m.b.H. Diese konstituierte sich im November des gleichen Jahres und erwarb sich rasch die Beachtung und das Vertrauen von Autoren und Theaterleitern.
Fünf Jahre später, 1913: Eduard Bloch zog sich aus der Theaterverlagsarbeit zurück. Die Vertriebsstelle übernahm das Repertoire dieses renommierten Unternehmens, und damit zugleich jenes der im Verlag Eduard Bloch integrierten Firma A. Entsch; hervorgegangen aus der siebzig Jahre zuvor gegründeten Theateragentur A. Heinrich.
Ein neues, ein wichtiges Kapitel in dieser Verlags-Biographie; bedeutete diese Transaktion doch eine interessante und attraktive Ausweitung des bereits bestehenden Verlagsangebotes.
Ein zusätzlich positiver Effekt war es, dass es gelang, zwei führende Mitarbeiter des Bloch-Verlages ebenfalls zu "übernehmen": Dr. Albert Entsch und dessen spätere Ehefrau Ella Plempen, deren Name untrennbar über Jahrzehnte mit der "Vertriebsstelle" verbunden bleiben sollte. Beide brachten sie ein Höchstmaß an verlegerischer Erfahrung mit, die der "Vertriebsstelle des Verbandes Deutscher Bühnenschriftsteller" äußerst wertvoll werden sollte.
Eine nur schwer zu schließende Lücke riss im Jahre 1921 der plötzliche Tod von Dr. Albert Entsch. Fortan leitete Frau Ella Entsch die Geschicke des Unternehmens gemeinsam mit einer Reihe von Verlagsdirektoren, von denen an dieser Stelle nur Namen wie Dr. Walter Harlan, Ulrich Steinhoff und Hans Wienand genannt werden sollen. In den schweren Zeiten, die folgten - erst im Nachhinein wurden sie als die "goldenen Zwanziger" apostrophiert - gelang es Ella Entsch durch unerhörten persönlichen Einsatz, mit Engagement und Fingerspitzengefühl, die VVB durch alle Irren und Wirren zu steuern. Im Jahre 1930 trat Oskar Neruda als Mitdirektor in die Vertriebsstelle ein; ihm oblag es in besonderem Maße, die persönliche Kontaktpflege zu den Bühnen zu intensivieren.
Mit Erstellung des Bühnenkartellvertrages nahm der Verband Deutscher Bühnenschriftsteller auch die Musikautoren in seine Reihen auf; von diesem Zeitpunkt an führte das Verlagsunternehmen den Namen "Vertriebsstelle des Verbandes Deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten G.m.b.H.". Doch der äußere Anschein trog, denn durch stetiges Anwachsen des Unternehmens einerseits und einer Erweiterung der Aufgaben des Verbandes andererseits, stellte sich im Laufe der Zeit immer klarer heraus, dass ein einziges Verlagsunternehmen nicht nur als verbandsorientierte "Vertriebsstelle" tätig sein könne. Anfang der dreißiger Jahre wurde aus der "Vertriebsstelle des Verbandes ..." daher die "Vertriebsstelle und Verlag Deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten G.m.b.H.", dem Verband" weiterhin eng und freundschaftlich verbunden, jedoch ein eigenständiges Verlagsunternehmen, das von Ella Entsch und Oskar Neruda gemeinsam geleitet wurde.
Ein dunkles Kapitel schlug das Jahr 1935 auf: Ella Entsch und Oskar Neruda, Hauptgesellschafter der Vertriebsstelle, wurden im Zuge der politischen Entwicklung gezwungen, ihre Firmenanteile zu verkaufen und die Leitung des Unternehmens niederzulegen. Zum neuen Geschäftsführer wurde Dr. Hans Sikorski bestimmt, und es war sein Bestreben - trotz aller Widrigkeiten - als getreuer Sachverwalter den Verlag im Sinne seiner früheren Besitzer weiter zu führen. Oskar Neruda verließ gezwungenermaßen Deutschland; Ella Entsch hielt, wenn auch zunächst in untergeordneter Position, ihrer Vertriebsstelle die Treue. Durch persönlichen Einsatz Dr. Sikorskis war es ihr möglich, Ende 1936 wiederum die Geschicke des Unternehmens mitzubestimmen, ihren Kenntnissen der Materie, ihrer langjährigen Erfahrung und ihrem selbstlosen Einsatz ist es zu danken, dass es mit der Vertriebsstelle weiterhin aufwärts ging. Neue Autoren und Komponisten wurden "entdeckt" und zahllose spätere Bühnen-Hits" ins Verlagsprogramm aufgenommen.
Dann schien alles, die Arbeit von Jahrzehnten, mit einem Schlage und für alle Zeiten unwiederbringlich dahin: Das Unternehmen am Bayerischen Platz in Berlin wurde am 23. November 1943 buchstäblich in Schutt und Asche gelegt. Auch das auswärts gelagerte Bühnenmaterial fiel den Bomben zum Opfer, und im Chaos des zuendegehenden Krieges wurde auch der letzte Rest der bis dahin irgendwie geretteten Unterlagen vernichtet.
Der Neubeginn der Verlags- und Vertriebstätigkeit wurde unter höchst provisorischen Bedingungen in Bad Kissingen gestartet, wohin die spärlichen Reste der VVB verlegt worden waren. Nach Kriegsende und der Lizenzierung druch die amerikanische Besatzungsmacht wurden die Kontakte zu Autoren und Bühnen unter unsäglichen Schwierigkeiten wieder aufgenommen. Die Bedingungen, unter denen damals gearbeit wurde, waren denkbar deprimierend: Vermögenskontrolle, Liquidierungsandrohung, die Einsetzung eines Treuhänders und schließlich dann 1948 die Währungsreform, die auch die letzten finanziellen Mittel verschlang.
Als Ella Entsch am 1. Januar 1949 die Vertriebsstelle wieder in Eigenregie übernahm, stand sie wohl eher einem Scherbenhaufen, als einem florierenden Unternehmen vor. Mit 64 Jahren begann sie erneut von vorn, unter Hintansetzung ihrer Person ging sie an den Wiederaufbau, in dessen Verlauf 1953 die Übersiedlung nach Hamburg erfolgte, zunächst sozusagen als "Untermieter" im Verlagshaus Sikorski - sodann in eigenen Räumen in Hamburg.
Seit dem Jahre 1949 war als Mitarbeiter Fritz Neruda in der Vertriebsstelle tätig, der Sohn von Ella Entsch und Oskar Neruda. Als Ella Entsch im Jahr 1967 im Alter von 82 Jahren die Augen für immer schlosss, konnte sie nicht nur auf ein mit Arbeit erfülltes Leben zurückblicken, sondern sicher gehen, dass der Verlag in ihrem Sinne weitergeführt wurde.
Die folgenden Jahre brachten eine langsame aber stetige Weiterentwicklung, neue Kontakte im In- und Ausland wurden geknüpft und intensiviert, der Verlag nach Norderstedt verlegt. Die Palette der VVB reichte unter der Leitung von Fritz Neruda von den Bearbeitungen klassischer Werke bis hin zur modernen internationalen Unterhaltungsliteratur und dem Musical, dem Kinder- und Jugendtheater und dem Schaffen niederdeutscher Autoren.
Völlig unerwartet verstarb 1991 Fritz Neruda im Alter von nur 60 Jahren und es war an Wolfgang Neruda, in die Geschäftsführung einzutreten, nachdem er bereits seit einigen Jahren seinem Vater zur Seite gestanden hatte. Die Festigung und Intensivierung der Zusammenarbeit mit ausländischen Verlagen, die persönliche Betreuung von Profi- und Amateurtheatern und die Ausweitung der Verlagstätigkeit auf den Bereich der neuen Medien stellten dabei einen Schwerpunkt der Tätigkeit dar und 1993 übernahm die Vertriebsstelle die Autoren und Werke des textor theaterverlags in ihr Programm.
Im Jahr 2008, nach einhundert Jahren ihres Bestehens, präsentiert die VVB damit einige tausend Bühnenwerke; alles nahm vor annähernd 160 Jahren seinen Anfang, als ein Souffleur namens A. Heinrich am Königlichen Schauspielhaus zu Berlin ...