Aus eins mach viele
Viermal die „Bremer Stadtmusikanten“? Neunmal „Aschenputtel“? Fünfmal „Max und Moritz“? Braucht man das?! Unbedingt! Denn die Bühnenfassungen unserer Märchenklassiker sind so unterschiedlich wie die Bedürfnisse der sie spielenden Bühnen: Ob klein oder groß besetzt, mit oder ohne Musik – hier findet jeder Bühnentopf den passenden Märchendeckel.
Allein im letzten Jahr feierten vier höchst unterschiedliche Fassungen des Märchenklassikers Die Bremer Stadtmusikanten an verschiedenen deutschen Bühnen Premiere. Die ebenso kleine wie „lebendige Fassung“ (Schenefelder Tageblatt) der Geschichte von Manfred Hinrichs besticht durch ihren unbekümmerten Witz und die Musik von Stefan Hiller, die das Geschehen ebenso eingängig wie augenzwinkernd in Töne fasst. Zu sehen war diese kleine, aber feine Version der Die Bremer Stadtmusikanten zuletzt beim Theater Schenefeld und beim Theater 99 Hamburg.
Eine Bearbeitung des Stoffs für eine große, freilichttaugliche Besetzung legte Karlheinz Komm vor, dessen Die Bremer Stadtmusikanten mit witzigen Nebenfiguren wie dem sangesfreudigen Räuberhauptmann oder dem verträumten Lehrer aufwartet und den zuschauenden Kindern reichlich Gelegenheit zum Mitmachen bietet. Das Theater Oststeinbek und die Theatergesellschaft Preziosa „begeisterten“ zuletzt „mit (diesem) neuen Märchenstück“ (Der Westen).
Mit einer besonders musikbetonten Bearbeitung des Klassikers aus der Feder von Dieter Geske erntete das Frankfurter Papageno-Theater „im vollbesetzten Theatersaal ... fröhliche Zustimmung“ (FAZ). Geskes Die Bremer Stadtmusikanten charakterisiert die Tiere, ihre Eigenheiten und Streitereien liebevoll und bietet zudem geradezu kriminalistische Spannung, wenn die vier Musikanten unschuldig als Räuber verhaftet werden...
Last but not least gibt es in der Fassung der Die Bremer Stadtmusikanten von Hans Thoenies nicht nur „viel zu lachen“ – mit seinen liebenswerten Nebenfiguren wie dem Liebespaar Trine und Roland und dem glanzvollen Wettbewerb um den Posten der offiziellen Bremer Stadtmusikanten als Finale versprüht das Stück „pure Lebensfreude“ (Zitate: BNN). Zuletzt sorgte es bei der Weingartener Theaterkiste für beste Unterhaltung.
Und auch Dornröschen ist nicht gleich Dornröschen: So stellt Ingo Sax in seiner dezidiert modernen Fassung des Märchens die berechtigte Frage, was denn eigentlich mit König, Schloss und Prinzessin passiert, wenn sie erst einmal hundert Jahre verschlafen haben. Was ist, wenn es dann gar keine Könige mehr gibt? Angereichert mit einer Reihe kauziger und unvergesslicher Nebenfiguren wie der Köchin Sonja, der Zofe Melissa oder dem pompösen Hofarzt sowie vier guten Feen und einer respektlos-anarchistischen „bösen Fee“, eignet sich Ingo Sax' groß besetztes Dornröschen besonders für Freilichtbühnen und sorgt mit seinem modern-flapsigen Ton für „unterhaltsame Theateraufführungen“ (ovb-online), so zuletzt im Rosenheimer Theater unterm Kirchturm.
Karlheinz Komms klein besetzte Fassung des Stoffs Dornröschen wiederum arbeitet virtuos mit Rollenwechseln, Mitmachszenen und Theater auf dem Theater und sorgt so immer wieder – beispielsweise beim BGSS – für „Feenglanz, Theaterzauber und Augenzwinkern“ (Isener Marktbote).
Christa Margret Riekens „Bühnenversion mit viel Musik und Mitmachspaß“ (RP online) des Der Froschkönigs wurde zuletzt beim Theater Purpur in Schwalmtal gefeiert. In dieser witzigen und temporeichen Märchenversion erfährt das Publikum nicht nur, warum der Prinz zum Frosch wurde: Auch die Prinzessin, die aus Geldgründen an den eitlen Prinz Peter verheiratet werden soll und entdeckt, dass ein Frosch ihr wesentlich mehr gefällt, gewinnt in dieser klein besetzten Variante des bekannten Stoffes an Format. Ganz klassisch in großer Besetzung erzählt Henrik Helge die Geschichte des verzauberten Prinzen „humorvoll und temporeich“ (Osterholzer Kreisblatt); zuletzt landete das Theater Osterholz-Scharmbeck mit dieser klassischen Bearbeitung des Der Froschkönigs einen „großen Wurf“ (Osterholzer Anzeiger).
Eine groß angelegte klassische Fassung des Märchens von Hänsel und Gretel legt Peter Andreas vor. Erweitert um die Kaspertheaterfiguren Michel und Kasper – der eine stets jammernd und pessimistisch, der andere eine zupackende Frohnatur – sowie die ungeschickte, aber gutherzige Nachbarin, erzählt Andreas die Geschichte der notleidenden Familie, deren Kinder Hänsel und Gretel nur um ein Haar der bösen Hexe entrinnen, als üppiges Märchenspiel mit Tanz- und Traumszenen. Bei der adventlichen Aufführung in der Kreismusikschule Kulmbach wurde das Publikum von dieser wahrlich märchenhaften Fasung denn auch „förmlich 'verhext' und mit vielen wunderbaren Eindrücken in eine schöne Adventszeit entlassen.“ Beim Theaterverein Krumbach wiederum durften die „begeistert applaudierenden Premierenbesucher“ (Augsburger Allgemeine) Karlheinz Komms spannungsvolle kleiner besetzte Fassung von Hänsel und Gretel bewundern, in der die Grausamkeiten des ursprünglichen Stoffs (die Härte der Eltern, das Verbrennen der Hexe) abgemildert wurden, so dass diese vergnügte Fassung auch gut für kleinere Kinder geeignet ist.
Wenn diese beiden Lausbuben loslegen, dann wächst kein Gras mehr: erwürgte Hühner, gesprengte Lehrer, Maikäfer im Bett des Onkels – und das war noch lange nicht alles. Die Rede ist natürlich von Wilhelm Buschs anarchischem Brüderpaar Max und Moritz. Die Untaten der beiden erweisen sich immer wieder nicht nur als Lese-, sondern auch als Bühnenvergnügen: Dietrich Korten schuf aus den Streichen von Max und Moritz ein höchst lebendiges Bühnengeschehen, das die originalen Verse geschickt mit neu erdachten Dialogen verquickt und auch die Kinder aktiv in die Aufführung mit einbezieht. Diese Fassung erzielte beispielsweise bei der Theaterbühne Arbesbach erst letztes Jahr einen „vollen Erfolg“ (NÖN). In größerer Besetzung und mit Musik präsentiert sich Jürgen Peters Bearbeitung des frechen Treibens von Max und Moritz für die Bühne und begeistert Darsteller wie Publikum, zuletzt beim TV Frohsinn Bergheim-Hüchelhoven.
Dass Rumpelstilzchen nicht gleich Rumpelstilzchen ist, das steht spätestens seit 2015 fest, als bei den Brüder Grimm Festspielen in Hanau Jan Radermachers Musicalbearbeitung des Stoffs seine Uraufführung feierte. Im Gegensatz zum üblichen Bösewicht ist Radermachers Rumpelstilzchen ein knurriger, aber durchaus gutherziger Kobold, der nur seine Ruhe haben will – ein Plan, der allzubald durchkreuzt wird, als der Koboldkönig ihn beauftragt, ihm ein Menschenkind als Diener zu beschaffen ... Radermachers fetzige Musicalfassung feierte nach Hanau auch in Hamburg erfolgreich Premiere und wird diesen Sommer auf der Waldbühne Kloster Oesede herauskommen. Doch auch ganz klassisch erzählt bietet Rumpelstilzchen großartige Bühnenunterhaltung, beispielsweise in der „spannenden und lustigen Theaterfassung“ (Münchner Merkur) von Georg A. Weth, in welcher ein urkomischer Harlekin, der auch die Kinder immer wieder mit einbezieht, durch das Geschehen führt und schließlich das Happy End herbeiführt. Zuletzt war diese gelungene Bühnenbearbeitung bei der Theatergruppe Süd-München zu sehen.
Grundverschiedene Autoren schaffen ganz und gar unterschiedliche Stücke: Schneewittchen und die sieben Zwerge von Ingo Sax erzählt das bekannte Märchen in norddeutsch trockenem Ton – eigensinniges Schneewittchen, aufmüpfigen Spiegel und glücklosen Baum-Agenten inbegriffen. „Modern, frisch und frech“ feierte Sax' „Stück für die ganze Familie“ (Aargauer Zeitung) kürzlich Premiere bei den Schweizer Stafikids und beim Norderstedter Theater PUR. Christian Berg und Katja Tiltmann wiederum präsentieren Schneewittchen und die sieben Zwerge als das HITreißende Musical mit bekannten Titeln wie „Moskau, Moskau“ oder „Über sieben Brücken musst du gehn“, in Berg-typischer Manier mit viel Publikumskontakt und einem Hauch Ironie.
In Der Teufel mit den drei goldenen Haaren wehrt sich ein grausamer König mit aller Macht dagegen, dass ein armer Holzfällersohn seine Tochter heiraten und sein Reich erben soll. Doch genau das besagt eine Prophezeiung, und das „Glückskind“ übersteht denn auch alle Anschläge auf sein Leben unbeschadet und bringt dem König gar die drei goldenen Haare des Teufels, um sich die Hand der Prinzessin zu erringen. Gleich drei Fassungen dieses rasanten Märchenabenteuers umfasst unser Angebot: Ganz klassisch mit witzigen Nebenfiguren wie dem grammatikscheuen Räuberhauptmann und den reimenden Höllenbewohnern dramatisierte Wolf-Dietrich Sprenger das Grimm'sche Märchen Der Teufel mit den drei goldenen Haaren; mit skurrilen Einfällen glänzt die Fassung Der Teufel mit den drei goldenen Haaren von Hans Thoenies, in der des Teufels Großmutter am mangelnden diabolischen Handwerkszeug ihres Enkels verzweifelt, während die Prinzessin Tanjana gar nicht daran denkt, brav im Schloss auf ihren Findling zu warten, sondern ihr Schicksal energisch selbst in die Hand nimmt. Marc Gruppe schließlich erzählt Der Teufel mit den drei goldenen Haaren als „kurzweiligen und höllischen Spaß“ (HNA), in dem Feen ebenso vorkommen wie eine tobende Teufelsrasselbande, und in der schließlich gar ein Teufelchen zur Fee werden darf. Diese Bearbeitung des märchenhaften Höllenspektakels heizte zuletzt dem Publikum der kleinen bühne 70 in Kassel ein.
– 21.02.2017